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Zusammenfassung des Berichts über die IGE-Informationsveranstaltung vom 14 Januar 2010

Zusammenfassung zum ACTA-Abkommen

Ausgangslage

Seit 1995 gibt es das TRIPS-Abkommen (Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights) der Welthandelsorganisation WTO.[1] Dieses Übereinkommen betreffend handelsbezogener Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums, wie es auf Deutsch übersetzt wird, legt Anforderungen auf dem Gebiet der Immaterialgüterrechte fest. Dadurch sollen die durchgeführten Massnahmen, im Sinne der Rechte des geistigen Eigentums, nicht zu Schranken für den rechtmässigen Handel werden. Das internationale Übereinkommen regelt folgende Rechtsgebiete:

  • Urheberrecht, Markenrecht und Patente
  • geographische Angaben
  • Geschmacksmuster
  • Halbleiterschutz
  • den Schutz nicht-offengelegter Informationen (Geschäftsgeheimnisse)
  • die Bekämpfung wettbewerbswidriger Praktiken in vertraglichen Lizenzen.

Unter anderem fordert es von den unterzeichnenden Ländern die automatische Entstehung des Urheberschutzes – dass also diese Rechte ohne Registrierung oder andere Formalitäten in Kraft treten – und eine Mindestschutzdauer von mindestens 50 Jahre über den Tod des Autors hinaus.[2]

Heute werden Fälschung und Piraterie zunehmend als Problem wahrgenommen. Die OECD hat in einem kürzlich erschienenen Bericht geschrieben, dass ihr Ausmass weltweit auf etwa 250 Milliarden Franken geschätzt wird.[3] Dies entspricht ungefähr dem Schweizer Bruttoinlandsprodukt.[4]

Nun haben im Jahre 2008 mehrere Staaten, darunter auch die Schweiz, beschlossen gegen diese Problematik vorzugehen. Inzwischen verhandeln 38 Staaten mit demselben Anliegen: untereinander zu kooperieren und effektivere Massnahmen in der Rechtsdurchsetzung zu finden. Das zu behandelnde Bündnis nennt sich ACTA. ACTA steht für «Anti-Counterfeiting Trade Agreement» und ist ein geplantes plurilaterales Handelsabkommen, das in erster Linie beim Urheberrecht ansetzt. Im deutschsprachigen Raum wird ACTA als Abkommen zur Bekämpfung von Fälschung und Piraterie bezeichnet. Die teilnehmenden Nationen bzw. Staatenbünde geben an, damit den Kampf gegen Produktpiraterie verbessern zu wollen.[5] Im Fokus sollen dabei Rechtsverletzungen stehen, die in grossem Umfang passieren und einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden verursachen.

Inhalt des Abkommens und Stand der Verhandlungen

Der folgende Text ist in erster Linie eine Zusammenfassung der IGE- Informationsveranstaltung vom 14. Januar 2010, an der Denis Simonet, Präsident der Piratenpartei Schweiz, teilnahm und protokollierte. Dieses Dokument dient hauptsächlich der Information der Öffentlichkeit. Das vollständige Protokoll6 steht natürlich auch zur Verfügung. Nach Angaben des Instituts für Geistiges Eigentum (IGE) geht es bei ACTA nicht um eine Anhebung des Schutzniveaus, sondern um die Durchsetzung der bisher anerkannten Rechte – in der Schweiz gemäss dem revidierten Urheberrechtsgesetz. Deshalb geht das IGE auch davon aus, dass in der Schweiz keine Gesetzesanpassungen sondern höchstens Verordnungsänderungen nötig werden. Auch zolltechnisch werden in der Schweiz keine Änderungen und somit auch keine Einschränkungen des freien Warenverkehrs erwartet. Vertragsrecht wie Lizenzbestimmungen seien ebenfalls nicht Teil von ACTA. Gleiches gilt für Softwarepatente. Weiter soll ACTA nichts an den geltenden Normen zur Vertraulichkeit von Daten und Informationen ändern – Stichwort Datenschutz.

Die Erwartungshaltung der Mitglieder ist jedoch ziemlich heterogen. Manche Staaten wollen, dass ACTA sich nur mit den Bereichen Urheberrecht und Markenrecht befasst, andere möchten alle Bereiche des Immaterialgüterrechts inkl. Patentrecht behandeln. Wieder andere Länder wollen spezielle Verfahren und Strafbestimmungen bei Abfilmung von Filmen im Kino festsetzen.

Die Vereinigten Staaten von Amerika fordern für alle Staaten eine ähnliche Methodik bei Verbreitung von unlizenzierten Inhalten über das Internet, wie es Grossbritannien und Frankreich vorsehen. So sollen die Internetanbieter (ISP) ihre Kunden vom Internet trennen, wenn diese unlizenzierte Inhalte tauschen. Wird ein Kunde drei Mal dabei erwischt, wird diesem der Internetzugang komplett gekappt.

Dieses Vorgehen, «Three Strikes Out» genannt, erhält von verschiedenen Seiten scharfe Kritik. Der Ansatz der Gegner lautet: So wird die Informationsfreiheit, ein Menschenrecht, beschnitten.[7] Die PPS schliesst sich dieser Kritik an.

Weiter warnte auch der Google-Chefjurist vor Zugangsfilterung bei den ISPs.[8] Markus Bekedahl vom angesehenen Netzpolitik Blog schreibt: «Und da sind wir dann nicht nur bei Zwangsfiltern für ISPs, sondern auch bei Filtern für alle möglichen Netz-Plattformen. Man stelle sich nur vor, es gäbe Youtube noch nicht, jemand würde es erfinden und müsste sofort erstmal die notwendigen Filter kaufen und einbauen. Das würde Innovation hemmen. Das könnte hierdurch geschehen.» [9]

Die Schweiz hat bisher keine Strafbestimmungen bezüglich dem Umgehen von technischen Schutzmassnahmen und Digital Rights Management (DRM). Daran werde sich mit ACTA höchstwahrscheinlich nichts ändern, meint das IGE.

Die Free Software Foundation (FSF) ist da anderer Ansicht. Sie ist der Meinung, dass durch ACTA der Vertrieb von freier Software schwieriger und deutlich teurer werden wird. Weiter soll es für Konsumierende nicht mehr möglich sein, DRM-freie Medien zu erwerben. Medien mit DRM können nicht (legal) mit freier Software abgespielt werden. ACTA schaffe eine Kultur der «Überwachung und Verdächtigung/Argwohn». Eine solche Gesellschaft betrachte es dann als Gefahr, freie Software zu produzieren – und nicht mehr als Ausdruck von Kreativität und Innovation.[10]

Position der Schweiz

Grundsätzlich habe die Schweiz als innovativer Wirtschaftsstandort ein Interesse an einem globalen Schutz des geistigen Eigentums. Der Bundesrat ist aber der Meinung, dass dieser Schutz innerhalb der Schweiz bereits auf einem hinreichend hohen Standard ist.

Die Schweizer Delegation besteht aus zwei Vertretern des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO), zwei des IGE und einem der Oberzolldirektion. Unter der Leitung des IGE hat diese Delegation das Ziel, Verschärfungen der Schweizer Gesetze zu verhindern und versucht, den Schweizer Standard in die Verhandlungen einzubringen. Die erklärte Absicht ist es also, die Möglichkeiten der effizienten Rechtsdurchsetzung auf internationaler Ebene dort auf Schweizer Niveau anzuheben, wo dies noch nicht der Fall ist. Das IGE ist optimistisch, dass in dieser Hinsicht Fortschritte erreicht werden können. Laut IGE hat die Schweiz aber auch kein Interesse daran, ihre Sicht betreffend «geistiges Eigentum» anderen Staaten aufzudrängen. Die Schweiz hat auch keinen eigenen Textvorschlag eingereicht.

Die Schweiz würde die Anliegen gerne auf multilateraler Ebene (WTO, WIPO, WHO) angehen und engagiert sich entsprechend dort in erster Priorität. Jedoch gibt es viele Länder, die kein Interesse an einem solchen Vorgehen haben. Die Schweizer Beteiligung an den plurilateralen ACTA-Verhandlungen ist ein paralleles, eigentlich zweitrangiges Engagement. Die Delegation hofft, durch ACTA könnten auch auf multilateraler Ebene Fortschritte angeregt werden.

Geheimhaltung

Bisher wurde unter anderem auch von der Schweiz ein Summary Paper veröffentlicht, das in groben Zügen zeigt, wo die ACTA-Parteien Handlungsbedarf und -möglichkeiten sehen.[11] Ein konsolidiertes Dokument des Verhandlungstextes existiert erst seit Mitte Dezember 2009. Einzelne Vorschläge und Textelemente der beteiligten Staaten werden, nach gängiger Praxis, auch bei anderen Verhandlungen nicht veröffentlicht. Dies ist im schweizerischen Öffentlichkeitsgesetz so vorgesehen. Diese Geheimhaltung bei Verhandlungen schafft einen Vertrauensraum, so dass Verhandlungspartner ohne Gesichtsverlust ihre früher festgehaltenen Positionen ändern können. Die Schweiz ist bestrebt, die Verhandlungen so transparent wie möglich zu gestalten, muss sich aber (und darf gemäss Öffentlichkeitsgesetz) an die Vereinbarungen innerhalb der ACTA-Verhandlungen halten. Neben der Schweiz sollen laut IGE auch Kanada, Australien und Neuseeland für eine hohe Transparenz plädieren, jedoch würden diese Bestrebungen insbesondere von der EU und den USA blockiert. Die Schweiz möchte kontinuierlich allen interessierten Parteien (ohne Vorzugsbehandlung wie z.B. in den USA) über den Stand der Verhandlungen berichten, gewährt aber keine Einsicht in die konkreten Verhandlungsvorschläge. Da gegen die Gesetzesänderung im Urheberrecht damals kein fakultatives Referendum ergriffen wurde, geht das IGE davon aus, dass dieses unbestritten sei. Ausserdem: Es gibt wie bereits gesagt erst seit Dezember ein Gesamtdokument. Deswegen erachtet das IGE auch erst jetzt den Zeitpunkt als geeignet, alle Interessierten zu informieren. Die Interessen von Konsumenten und der Wirtschaft sollen berücksichtigt werden, indem ihre Anliegen an Informationstreffen aufgenommen werden.

Kritisch mit der Thematik setzt sich die Stopp-ACTA-Website12 der Piratenpartei Schweiz (PPS) auseinander. Die PPS fordert deutlich mehr Transparenz. Es ist nicht akzeptabel, dass solche wichtigen zukunftsweisenden Verhandlungen – die uns alle betreffen – mit einer Informationspolitik geführt werden, welche die Kubakrise geehrt hätte. Weiter warnen europäische Datenschützer vor dem intransparenten Abkommen13. So wird bemängelt, dass «Die EU-Kommission [sich] seit zwei Jahren [weigert], die Öffentlichkeit über die Verhandlungen präzise und zeitgerecht zu informieren.»[14]

Umsetzung

Ein allfälliger Beitritt zum ACTA-Abkommen müsste in der Schweiz durch das Parlament ratifiziert werden und würde dem fakultativen Referendum unterliegen (d.h. mit 50’000 Unterschriften könnte eine Volksabstimmung erzwungen werden). Allfällige Gesetzesänderungen müssten vor dem Beitritt gemacht werden und wären ebenfalls referendumsfähig. Auf Staaten, die sich nicht an ACTA beteiligen, soll das Abkommen laut IGE keine Auswirkungen haben.

Doch befürchten Kenner des Abkommens, dass ACTA eine Umgehung von anerkannten und vor allem multinationalen Organisationen wie der World Intellectual Property Organization (WIPO) darstellen soll. Dort verfügen die ACTA- Initianten über keine Mehrheit mehr.[15] US-Politologin Susan Sell sagt dazu: «Die Befürworter neuer Regelungen wissen, dass sie mit ihren Traumvorstellungen von sehr, sehr harten Standards für den Schutz des geistigen Eigentums [bei der WIPO] nicht durchkommen. Nun versuchen sie es durch die Verhandlung zwischen gleichgesinnten Staaten. Wir können aber sicher sein, dass diese Bestimmungen dann in bilateralen Handelsvereinbarungen regelmäßig auf den Tisch kommen. Vor allem wird auch der Druck auf eine Reihe von Staaten erhöht werden, die WIPO-Internet-Verträge zu unterzeichnen. Brasilien hat dies etwa bislang nicht getan.»[16]

Ausblick

Die 7. Verhandlungsrunde fand Ende Januar in Mexiko statt, die Achte wird Mitte April in Neuseeland abgehalten. Ziel ist es, bis Ende 2010 zu einem Abschluss der Verhandlungen zu kommen.

Doch so klang es schon im vergangenen Jahr, und im Jahr zuvor.[17] Deshalb betrachtet das IGE auch die aktuelle Terminplanung als ambitiös bis unrealistisch. Verwirrend ist aus Sicht der PPS auch, dass bereits mehrere Treffen statt fanden, jedoch das IGE aussagt: «[es gibt] im Moment noch nichts Konkretes. Man weiss somit immer noch nicht, was in ACTA enthalten sein wird.»

Quellen

  1. ? WTO: Compulsory licensing of pharmaceuticals and TRIPS
  2. ? Wikipedia:TRIPS
  3. ? OECD Magnitude of counterfeiting and piracy of tangible products – November 2009 update http://www.oecd.org/document/23/0,3343,en_2649_34173_44088983_1_1_1_1,00.html
  4. ? indexmundi.com: Bruttoinlandsprodukt
  5. ? Wikipedia: ACTA
  6. ? Protokoll: Protokoll von Denis Simonet
  7. ? Golem.de: ACTA-Verhandlungen - "Three Strikes"-Gesetze für alle geplant
  8. ? Golem.de: ISP-Zwangsfilter durch die ACTA-Hintertür?
  9. ? Netzpolitik: Internetsperrungen und Zwangsfilter durch ACTA
  10. ? FSF: Speak out against ACTA
  11. ? IGE: ACTA: Übersicht über den Stand der Diskussionen veröffentlicht https://www.ige.ch/fileadmin/user_upload/Juristische_Infos/e/transparency_paper.pdf
  12. ? Stopp ACTA
  13. ? EU-Datenschützer warnt vor ACTA
  14. ? EU-Datenschützer warnt vor ACTA
  15. ? Netzpolitik: Internetsperrungen und Zwangsfilter durch ACTA http://www.netzpolitik.org/2008/internetsperrungen-und-zwangsfilter-durch-acta/
  16. ? c't: Gefälschte Handtaschen sind nicht gefährlich http://www.heise.de/ct/artikel/Gefaelschte-Handtaschen-sind-nicht-gefaehrlich-301428.html
  17. ? heise G8-Staaten wollen Anti-Piraterie-Abkommen bis Ende des Jahres http://www.heise.de/newsticker/meldung/G8-Staaten-wollen-Anti-Piraterie-Abkommen-bis-Ende-des-Jahres-184909.html

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