Erklärung zur Stärkung der Kernthemen¶
Die Piratenpartei hat sich formiert, um die politischen Herausforderungen der Wissens- und Informationsgesellschaft zu bewältigen. Sie ist die parteigewordene digitale Bürgerrechtsbewegung. Von einer Partei wird jedoch eine umfassendere Politik erwartet. Aus diesem Grund beschäftigen sich die Piraten nun intensiv mit Themen, die über das Spektrum der Gründungsthemen hinausgehen.
Wir — die Antragsteller dieser Erklärung — begrüßen dies explizit. Die Erweiterung des piratigen Politikfeldes ist richtig und gut, solange sie umfassend und mit Sachverstand ausgearbeitet ist und sich nicht auf Schlagwörter und unreflektierten Aktionismus beschränkt. Dabei dürfen aber die Gründungsthemen nicht vernachlässigt werden, sondern müssen stetig weiterentwickelt und auch in politische Entscheidungen umgesetzt werden. Dies voranzutreiben ist unser Ziel.
Die Piratenpartei ist die einzige Partei, die sowohl die technischen, als auch die sozialen Aspekte der digitalen Revolution nicht nur verstanden, sondern auch verinnerlicht hat. Dieses Alleinstellungsmerkmal müssen wir Piraten pflegen, konkretisieren und ausbauen. Der technologische Fortschritt bringt Chancen und Risiken mit sich, darunter die Gefahr eines Orwellschen Überwachungsstaats. Die Technik soll uns emanzipieren und nicht uns beherrschen. Es ist daher wichtig, dass die Piraten auf diesem Gebiet weiterhin eine Vordenkerrolle in der Politik einnehmen.
Aus diesem Grund setzen wir uns dafür ein, dass der Gründungsgedanke der Piratenpartei – sowohl vom Umfang der Themen, als auch von ihrer Intention – in einer breiteren Piratenpolitik und im politischen Tagesgeschäft nicht nur erhalten bleibt, sondern weiter vertieft und in konkrete politischen Forderungen ausformuliert und umgesetzt wird. Diesen Gründungsgedanken sehen wir durch die folgenden Thesen beschrieben.
I. Das Internet ist nicht nur ein Werkzeug, es ist Teil unseres Lebens¶
Für die Politiker der alten Generation ist das Internet nicht mehr als ein Werkzeug, das man beliebig kontrollieren und überwachen kann. Sie sehen es als etwas, das man abschaltet, um danach in sein »reales« Leben zurückzukehren. Für uns ist das Netz viel mehr als das, es ist ein Teil unserer Lebenswirklichkeit. Es begleitet uns wohin wir gehen und ist Dreh- und Angelpunkt vieler sozialer Kontakte. Wir sind ständig vernetzt!
Dabei haben wir diesen Teil unseres Lebensraums schätzen und lieben gelernt. Wir haben ihn angenommen, wegen seiner guten Seiten und trotz seiner schlechten, genauso wie wir es mit den gesellschaftlichen Gegebenheiten zuvor getan haben. Wir haben von einer Freiheit gekostet, die für die Menschen bis dato nicht vorstellbar war. Eine Freiheit, in der jeder von uns seine eigene Meinung verbreiten kann und akzeptiert, dass jeder andere seine Meinung verbreitet, auch wenn sie der eigenen widerspricht. Wir werden diese Freiheit verteidigen und keine Einschränkung selbiger akzeptieren.
II. Wir lehnen Zensur und Überwachung kategorisch ab¶
Der Rechtsstaat ist die sicherste Gesellschaftsform für alle Menschen. Eine Ausweitung des Überwachungsdrucks über die Grenzen des Rechtsstaates hinaus führt dazu, dass der Staat selbst zur Gefahr wird. Aus diesem Grund lehnen wir im Einklang mit dem Prinzip der Unschuldsvermutung jede Form der anlasslosen Überwachung grundsätzlich ab. Auch akzeptieren wir keine Zensur, egal in welcher Art und Weise und aus welchem Grund. Ein Rechtsstaat arbeitet mit anlassbezogener Strafverfolgung, Zensur ist ein Instrument des Totalitarismus.
III. Die Grundrechte dürfen nicht eingeschränkt werden¶
Der sensible Umgang mit personenbezogenen Daten nimmt im Informationszeitalter eine immer bedeutendere Stellung ein. Dabei gilt es das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu wahren und Datensparsamkeit und Datenvermeidung zu fördern. Dafür müssen sowohl die richtigen rechtlichen Rahmenbedingungen, als auch in der Gesellschaft ein Bewusstsein für die Problematiken geschaffen werden.
Jedem Menschen steht ein Recht auf Anonymität im Internet zu, um sich ohne Furcht vor Repression frei äußern und bewegen zu können. Dank dieser Anonymität wird im Internet Meinungsfreiheit in einem bisher nicht gekannten Maße realisiert.
Das Ziel allen Datenschutzes ist die Ermöglichung größtmöglicher Autonomie des Menschen, über den diese Daten eine Macht haben oder haben könnten, sowie die Gewährleistung seiner Entscheidungsfreiheit darüber.
Die Grundrechte – die Gesamtheit der Menschen- und Bürgerrechte – sind das Fundament des Rechtsstaats. Sie sind unveräußerliche Abwehrrechte gegen den Staat und schützen somit vor staatlicher Willkür und Allmacht. In der Informationsgesellschaft sind über jeden Menschen immer mehr Daten im Umlauf. Damit steigt auch die Gefahr des Missbrauchs. Die Grundrechte müssen daher auch auf das Internet uneingeschränkt übertragen werden. Als Beispiel sei hier das Grundrecht auf digitale Intimsphäre (Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme) genannt, das wir explizit begrüßen. Aber auch das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind Grundrechte, welche es gilt analog wie auch digital zu verteidigen.
IV. Ein Umdenken beim Urheberrecht muss her¶
Der uralte Traum den gesamten Wissens- und Kulturschatz der Menschheit jedem, jederzeit und überall zur Verfügung zu stellen ist dank der Digitalisierung in greifbare Nähe gerückt. Seine Realisierung ist unser erklärtes Ziel und der freie Austausch von Wissen und Kultur ist dafür ein unverzichtbares Mittel. Leider wird dieses Ziel immer noch torpediert, um veraltete Geschäftsmodelle zu schützen.
Wir erkennen die tragende Rolle der werkschaffenden Urheber bei der Weiterentwicklung des menschlichen Wissens- und Kulturschatzes an. Kommerzielle Partikularinteressen bestimmter Urheber und deren Verwerter müssen aber auf den Bereich des Wirtschaftens begrenzt bleiben und dürfen keinesfalls zu einer Beeinträchtigung des freien, unbeobachteten Informationsaustauschs führen. Öffentlich finanzierte Werke und Information sind jedem Menschen zu jeder Nutzung freizugeben.
Ein »geistiges Eigentum« im Sinne eines grundrechtlichen Eigentumsrechts lehnen wir ab.
V. Revision und Reduktion des Patentrechts¶
Der technische Fortschritt ist der Motor unserer gesellschaftlichen Entwicklung. Das Patentrecht, das diesen Fortschritt einst sichern helfen sollte, wird großflächig missbraucht, was der Zielsetzung höchst schädlich ist. Nicht nur werden Patente wie Waffen benutzt, um Marktmacht und Monopole zu sichern, auch werden die Patentgegenstände (z.B. Software, Gene, Geschäftsmodelle) immer fragwürdiger. Vielerorts werden Patente zum Risiko für den Menschen, wenn z.B. dringend benötigte Medikamente nicht hergestellt werden dürfen. Ähnlich wie beim Urheberrecht muss sich das Patentrecht jederzeit an seinem gesamtgesellschaftlichen Nutzen messen lassen. Das komplette Patentrecht muss aus diesen Gründen auf den Prüfstand.
VI. Transparenz und Mitbestimmung¶
Eine effektive Bewertung politischer Entscheidungsträger ist durch die fehlende Transparenz im Staatswesen kaum noch möglich. Dadurch sehen wir den demokratischen Prozess in Gefahr und fordern mehr Einblick in die Arbeit von Behörden und die Offenlegung von Entscheidungen und Verträgen. Die immer weiter um sich greifende Korruption und Machtkonzentration kann nur so schon im Keim erstickt werden und eine Wahl der Entscheidungsträger ist durch Kenntnis über die Tätigkeiten wieder möglich. Transparenz ist unser wichtigstes Werkzeug gegen Ausbeutung, Machtmissbrauch und demokratiefeindliche Bestrebungen.
Das Internet ermöglicht Partizipation statt bloßen Konsum, dies gilt für Politik ebenso wie für Kultur. Die Möglichkeit zur Mitbestimmung im demokratischen Prozess hängt dabei direkt vom Zugang zu den notwendigen Informationen und Entscheidungsprozessen ab. Deshalb ist Transparenz die Grundlage für eine Ausweitung der politischen Beteiligung der Zivilgesellschaft, die wir explizit fördern wollen.
VII. Freiheit von Bildung und Forschung¶
Nur ein gebildeter Mensch kann von seiner Freiheit Gebrauch machen. Aus diesem Grund ist die persönliche Entfaltung das Hauptziel der institutionalisierten Bildung. Das Bildungssystem muss allen Menschen frei und ohne Gebühren zugänglich sein. Der Staat ist Garant der freien Bildung und der ihr zugrunde liegenden freien Forschung und hat die Aufgabe diese zu fördern.
VIII. Teil der internationalen Piratenbewegung sein¶
Wir sehen in der Piratenbewegung die einzigartige Möglichkeit eine neue Ära der Demokratie einzuleiten. Durch das Internet können alle Grenzen überwunden werden und die bereits begonnene Internetrevolution kann international fast uneingeschränkt vorangetrieben werden. Die Piratenpartei Schweiz ist einer der wichtigsten Antreiber dieser Zukunftsvision und sollte sich ihrer Bedeutung in der internationalen Piratenbewegung bewusst sein. Dazu ist es nötig die Gemeinsamkeiten der Netz- und Bürgerrechtspolitik in den Vordergrund zu stellen und anderen Ländern bei diesen Themen Vorbild.
Quelle: http://gruppe42.net/erklaerung/
Frage¶
Nimmt die Piratenversammlung diese Erklärung an?
Antragsteller¶
- Moira Brülisauer
- Stefan Thöni
- Florian Mauchle
- Matthias Müller
- Sara von Salis